Stoffspielereien Mai 2019: Heimat

Heimat – ein wirklich spannendes Thema, das sich Susanne Nahtlust für die heutigen Stoffspielereien ausgesucht hat.

Meine Heimat ist hier, am Rand der Schwäbischen Alb. Dort wohnen wir auf einem Dorf in meinem Elternhaus, einem mehrfach um- und angebauten Bauernhaus, in dem sich manche Schätze noch finden lassen (beispielsweise meine Beiträge zu den Stoffspielereien mit der schwäbischen Tracht/Bändelhaube oder die Hutsammlung). Nach dem Abitur verließ ich diese Heimat, um 13 Jahre später wieder dort ins Elternhaus mit meiner eigenen noch kleinen Familie einzuziehen. Und auch wenn es ein Prozess war: das ist meine Heimat und ich bin sehr gerne hier. Der Dialekt ist mir vertraut, mit den typischen Eigenschaften des Schwaben kann ich umgehen und ich mag es, mich auszukennen und “daheim” zu sein.

Für die Stoffspielereien suchte ich zuerst nach einer für diese Gegend typischen Handarbeit – und wurde nicht fündig. Hier wurden vermutlich nur Socken gestrickt, für feinere Handarbeiten fehlte die Ruhe und die Zeit. Daher besann ich mich des “Bauernkittel”, oder wie wie man hier sagt, des “Blohemad”, also des Blauhemdes.

Dieses Blauhemd wurde in unserer Gegend bis in die 1950er Jahre von Bauern bei der Feldarbeit getragen. Das Älteste meiner Hemden stammt auch tatsächlich noch von meinem Großvater (1899-1953), der diesen groben und etwas unförmigen Kittel bei der Arbeit getragen hat. Es schützt die darunter angezogene Kleidung vor Schmutz und ist relativ winddicht. Es gibt kein vorne und hinten, so dass es, wenn eine Seite dreckig geworden war, umgedreht getragen werden konnte. Ich denke aber, dass dieses alte Hemd nicht selbst genäht und bestickt wurde, sondern irgendwo gekauft wurde.

Typische Merkmale eines Blauhemdes ist der gerade Schnitt (ziemlich unförmig…)

und ein gerade eingesetzter Ärmel mit Manschette

sowie ein Taschendurchgriff an der Seitennaht.

Die einzigen Verzierungen sind gerade und wellenförmige Linien mit einem Kettstich, hier in schwarz (in katholischen Gegenden vermutlich in rot) am Ausschnitt

und an der Schulter.

Auf dem “Saumarkt” in unserer Stadt finden sich zwei Figuren, die einen Bauern im Handel mit einem Metzger darstellen. Und der Bauer trägt eindeutig ein “Blohemad”: neben dem typischen Schnitt ist die Stickerei auf der Schulter und der Taschendurchgriff eindeutig erkennbar. Der Kittel ist kürzer als das meines Großvaters – ich denke, so sah das ein wenig “stadtfeiner” aus.

Die drei anderen Kittel stammen aus den 60er- und 70er Jahren und sind gekauft,. Die Damenversion trug meine Mutter als Umstandskleidung.

Hier sind alles Verzierungsnähte weiß, aber immer im gleichen Stil.

Die beiden Kinderkittel trugen wir als Kinder bei Festumzügen, gerne bekam das Baby des Hauses die Babyversion an (hier ein Instagram-Bild eines solches Kleinkindes im Leiterwagen.) Auf diese Weise wurde schon meine kleine Schwester und später mein Jüngster bei Festen hier durchs Dorf gezogen).

Besondern süß ist die Taschendurchgriffsverzierung des Babykittels.

Bei meinem Recherchen habe ich festgestellt, dass heute der Bauernkittel hauptsächlich bei Fasnetsumzügen eingesetzt wird – das fällt mir ein wenig schwer, da ich ihn wirklich noch als Kleidungsstück zumindest bei meiner Mutter gesehen habe.

Doch wie lässt sich dies jetzt auf die Stoffspielereien umsetzen? Ich stieß auf einen interessanten Artikel, warum sich heute nur die bayerische Tracht mit Dirndl und Lederhose als Festgewand durchgesetzt hat und nicht die schwäbische Kleidung (hier zum Nachlesen). Das machte mir Mut, den schwäbischen Kittel etwas moderner zu interpretieren.

Erste Versuche mit einem etwas lockeren gewebten Stoff, einem Baumwollgarn und einer sehr dünnen Garn-Häkelnadel gefielen mir ganz gut, da ich vor allem den Kettstich auf ein Kleidungsstück aufbringen wollte.

Dann fand ich im Stoffladen einen passenden Stoff, vermutlich ein Leinen-Viskose-Gemisch, das sehr schön fällt und nicht zu dicht gewebt ist. Ihn gab es auch in blau, aber da hätte ich vermutlich kein Kleidungsstück draus angezogen. Beige erschien mir passender und so nähte ich mir ein Top daraus:

Zuerst wollte ich die typischen Wellenlinien mit einem Kettstich aufhäkeln und zeichnete entsprechend an.

Das wollte mir aber gar nicht gelingen und so blieb ich bei einer relativ gerade verlaufenen Linie aus Kettstichen am Ausschnitt und am Arm.

So schnell dieses Aufhäkeln auch ging, die Schwierigkeit liegt darin, die Linie gerade und in gleichem Abstand zur Kante zu bekommen. Perfekt ist es nicht, aber lustig war, wie mein Mann die Ähnlichkeit zwischen dem alten Bauernkittel und dem neuen Top feststellte, als die beiden nebeneinander am Geländer hingen.

Die Verzierung ist sehr dezent, aber so werde ich das Top anziehen und wer weiß, vielleicht probiere ich an einem weiteren Stück auch die typischen Verzierungen, wie sie im Schulterbereich der Bauernkittel zu finden sind.

File:Schwabenalb Tafel31A, Albbauer Blauhemd, Lauxmann.jpg

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schwabenalb_Tafel31A,_Albbauer_Blauhemd,_Lauxmann.jpg

Nun bin ich gespannt, was sich bei Susanne Nahtlust für heimatliche Ideen sammeln!

Liebe Grüße

Ines

 

DIE STOFFSPIELEREIEN

Mach mit, trau dich, sei dabei! Die Stoffspielereien sind offen für alle, die mit Stoff und Garn etwas Neues probieren wollen. Es geht ums Experimentieren und nicht ums Perfektsein, denn gerade aus vermeintlich „misslungenen“ Experimenten können wir im Austausch jede Menge lernen. Lass dich gerne vom monatlich vorgegebenen Thema inspirieren und zeig deine Ideen dazu.

Jeden letzten Sonntag im Monat sind die Stoffspielereien zu Gast bei einer anderen Bloggerin. Dabei kommen wir ohne Verlinkungstool aus: Schreib einfach einen Kommentar mit dem Link zu deinem Beitrag im jeweiligen Blogpost der Gastgeberin. Sie fügt die Links im Lauf des Tages in ihren Beitrag ein – ganz persönlich und individuell.

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24.11.2019: (Thema noch nicht fix) bei Nähzimmerplaudereien https://naehzimmerplaudereien.com/

Einen Überblick über die bisherigen Stoffspielereien findest Du bei „Siebensachen zum Selbermachen“.

46 Gedanken zu „Stoffspielereien Mai 2019: Heimat

  1. Pingback: » Stoffspielerei: Heimat

  2. frau nahtlust

    Oja, liebe Ines, ich erkenne sie sofort, die Blauhemden. Meine Mutter trug so eine Art Kittel früher im Haushalt als Schürzenersatz – allerdings “aufgepeppt” in bunten Farben und Mustern. Wie schön, dass du
    mich an dieses STück Heimat erinnerst. Und noch dazu das so fein modern übersetzt in einen heute tragbaren “Kittel”, wie der SChwabe ja zu vielen Arten von Oberteilen sagt…. LG in die Heimat! Susanne

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Susanne,
      oh, die Kittel – das wäre eine eigene Überlegung wert, was alles ein Kittel sein kann. Selbst meine Kinder verwenden den Kittelbegriff!
      Danke für das schöne Thema, das uns alle zum Nachdenken gebracht hat!
      Liebe Grüße aus der Heimat
      Ines

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  3. Schnitt für Schnitt

    Wie interessant, dieses Stück Trachtengeschichte! Kannte ich noch nicht, diese Hemden. Aus unserer Gegend kenne ich nicht ansatzweise etwas, das mit dem Blohemad vergleichbar wäre. Ja, wirklich kleidsam waren die Hemden wohl nicht, vor allem praktisch. Mit deinem Oberteil hast du eine gute tragbare Version entwickelt. Hat die Schulterverzierung noch Platz? Ich bin mir sicher, dann würden viele aus deiner Gegend die Verbindung zu den Blauhemden erkennen. Liebe Grüße Christiane

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Das Blauhemd war vermutlich nur hier im süddeutschen, schwäbischen Raum sehr verbreitet. Aber da trug es wohl fast jeder Bauer.
      Das Top ist sehr angenehm zu tragen. Eine Schulterverzierung bräuchte vermutlich eine Passenschnittteil, damit es richtig zur Geltung kommt – und ich noch etwas Übung im Kettstich aufhäkeln!
      Liebe Grüße
      Ines

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      1. Frank

        Nein, das Blauhemd ist auch Teil der Westerwälder Tracht, außerdem in der Eifel getragen (dort in Museen heute zu finden) und auch im Bayrischen zu hause, sowie im Bergischen Land, außerdem die Zunftkleidung der “Kiepenkerle” im westfälischen Raum… eher ohne Stickerei auch in Norddeutschland als Bauernkittel im gebrauch gewesen. Oder man google mal den Begriff “Hessenkittel”…. – das Kleidungsstück ist also weit verbreitet gewesen – aber gerade deshalb ein Stück Kleidungsgeschichte und Heimatgeschichte, weil er in vielen “Heimaten” einfach klassisch dazugehörte…

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  4. Eule im Schlafanzug

    Liebe Ines,
    vielen Dank für den Einblick in die Geschichte dieses Kleidungsstücks. Die Idee die du daraus entwickelt hast und auch die Umsetzung deiner Verzierung auf dem Top gefällt mir sehr gut.
    Liebe Grüße Sandra

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Sandra,
      der Bauernkittel hat hier in der Gegend mittlerweile was sehr altmodisches – das zieht man nur noch bei Heimatfesten (oder was ich nicht mag, auf Faschingsumzügen) an. Es ist schade, dass wir Süddeutschen alles in die Heimatmuseen verfrachet haben – daher hat mir der erwähnte Artikel Mut gemacht, etwas Modernes und Tragbares draus zu machen.
      Liebe Grüße
      Ines

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  5. Mond

    Sclicht und modern interpretiert, gefällt mir, ich mag auch, dass du dich von der Farbe gelöst hast. Ich komme aus Ostwestfalen und kannte diese Hemden nicht. Bei deinen Beschreibungen habe ich mir vorgestellt, wie das ausgesehen haben muss, diese leuchtend blauen Hemden in leuchtend gelben Kornfeldern, wunderschön…
    Viele Grüße aus der Ferne!

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    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Stimmt, das sieht sicher sehr schön aus, gelb mit blau!!
      Den von mir verwendeten Stoff gab es genau in diesem royalblau und ich hatte den Ballen auch in der Hand – und dann entschied ich mich um. Das wäre nur ein unglückliches Nachmachen gewesen und keine Übertragung in die Jetztzeit.
      Liebe Grüße
      Ines

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  6. Milena

    Interessant all deine Recherchen! Bei uns (Kanton St. Gallen, aber auch Thurgau, Zürich, …Schweiz) tragen die Männer solche blauen Kittel als (Werktags-) Tracht. Die Stickerei ist allerdings im Stielstich.

    Dein Top hat was sehr edles. Die Häkelei hätte man ev durch Stickerei mit einer spitzen Nadel ersetzen können. (Heisst der Stich “Kettstich”?). Aber auch so: wunderschön!

    Liebe Grüsse
    Milena

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Da werde ich online mal stöbern gehen, das hört sich interessant an und ich bin auf die Unterschiede gespannt.
      Den Kettstich kann man gut mit der Nadel sticken – aber meine Augen bräuchten eine Gleitsichtbrille., Das ging mit der Häkelnadel wunderbar und auch sehr viel schneller!
      Vermutlich heißt der Stich Kettstich, weil man im Prinzip Kettmaschen häkelt. Und mit der Sticknadel wird dies etwas umständlicher nachgenäht.
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  7. made with Blümchen

    Deinen Ausflug in die Geschichte dieses Kleidungsstücks finde ich sehr spannend, und Deine moderne Umsetzung fein! Wenn Du ein weiteres Teil mit mehr Stickerei auf der Schulterpasse nähst, könnte es sich auszahlen, den Stoff noch vor dem Zusammennähen (und vor dem Ausschneiden des Schnitt-Teiles) auf einem Stickrahme mit einer speziellen, spitzen Häkelnadel zu besticken (Stichwort: Tambour embroidery, Luneville Stickerei). Das geht mit etwas Übung schneller und wird sicher exakter – falls Du das möchtest – als “freihand”. Aber schön ist es geworden, und tragbar, sehr fein. lg, Gabi

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Ich dachte auch, dass ich den Stoff einspannen müsste. Aber das ging hervorragend ohne Spannen und auch nur mit der normalen Häkelnadeln. Ich hatte mir ein Video angeschaut, das erschien mir viel zu kompliziert und dachte, das muss auch einfacher gehen. Vermutlich bräuchte ich noch ein etwas feineres Garn, dann wären wahrscheinlich mehr Muster möglich. Allerdings muss der Stoff gröber sein ( was er in meinem Fall ja sein sollte!)
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  8. Mema

    Liebe Ines.
    solche Kittel kenne ich als Hessenkittel und trug sie in Marburg, genau wie deine Mutter, während ich mit meinem ältestens Sohn schwanger war, ich hatte einen grüne, einen roten und einen blauen. Mir ist so, als wenn diese Art Kittel auch in meiner münsterländer Heimat noch von einigen Bauern bei der Arbeit getragen wurden. Die Tascheneingriff und die reduzierten Dekorationen waren überall vorhanden.
    Schönen Sonntag

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Ich freu’ mich gerade richtig, dass diese Art Kittel noch in anderen Gegend angezogen wurde. Hier gab es ihn nur in blau (daher “Blohemad” ), bei der Recherche habe ich jetzt auch rote gesehen.
      Ich denke, ein solches Hemd/Kittel war einfach praktisch und hat sich deshalb so durchgesetzt ( bis eben eine andere Mode “in” wurde).
      Vielen Dank und liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  9. Ute Textilewerke

    Liebe Ines,
    eine spannende Recherche. Vielen Dank. Toll finde ich deine Weiterentwicklung des traditionellen Kleidungsstücks zu einem TOP, das du wirklich tragen wirst. Danke für den interessanten Beitrag. Oft wird die traditionelle Kleidung in Deutschland ja auf das Dirndl und die Lederhose reduziert. Aber die verschiedenen Regionen haben auch verschiedene funktionelle und festliche Kleidung entwickelt, je nach Bedarf und Verfügbarkeit der Materialien.
    Liebe Grüße
    Ute

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Ute,
      das war auch für mich ein spannender Rückblick – und es fand sich kein Bild meines Großvaters im Häs, man ließ sich ja nur in Festtagskleidung und nicht in Arbeitskleidung fotografieren. Gestern habe ich gelernt, dass in meiner Heimat schon früh Baumwolle aus der Türkei importiert wurde; Leinen gab es hier in der Gegend. Und der Originalstoff ist sicher aus Leinen und Baumwolle gewoben.
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  10. Hügelring

    Liebe Ines, vielen Dank für Deinen interessanten Artikel. Ich finde es sehr spannend wie Du das Blauhemd modern interpretiert hast. Ich vermute, dass früher auch die Bauern in Hessen wo meine Familie her kommt blaue Kittel getragen haben. Mein Opa, der selbst ein Arbeiter war, hat von den Bauern (den anderen) immer als den Blostriebigen gesprochen. Selbst gesehen habe ich die Kittel aber nicht mehr und meine Familie hat sich als Arbeiterfamilie immer von den Bauern abgegrenzt. Im Dorf aus dem mein Opa stammte gibt es sogar zwei Gesangsvereine, einen für Arbeiter und einen für Bauern.
    Viele Grüße Julia

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Julia,
      nachdem der blaue Kittel aus Hessen jetzt hier in den Kommentaren schon mehrmals erwähnt wurde, habe ich nachgeforscht: Es gab dort auch einen Kittel in diesem Blau. Aber mit sehr viel mehr und anderer Stickerei und einem anderen Ausschnitt.
      Zum Glück gibt es heute dieses Standesdenken nicht mehr in diesem Maße wie früher!
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  11. eSTe

    Liebe Ines, da hast du uns ein handwerklich sehr schönes, traditionelles Arbeitsgewand vorgestellt. Es hat wirklich verdient weiter geschätzt zu werden. Einfallsreich hast du die Stiche sehr schön für dein Shirt verwendet. Passt ganz toll zum Thema.
    LG eSTe

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe eSTe,
      in meiner Kindheit tauchte der Kittel noch mehr im Alltag auf. Meine Mutter hat ihn in den 70er Jahren noch als Umstandsoberteil getragen. Leider habe ich nicht rausgefunden, woher der Kittel meines Großvaters stammt und wie und wo er hergestellt wurde.
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
      1. Jutta

        Liebe Ines,
        ich komme spät zu deinem Blog (Google) und habe eine Frage: Der Kittel würde sich gut für die Gartenarbeit eignen (wozu er ursprünglich ja auch getragen wurde.) Aber: ich brauche Taschen! (Viele!). Die alten Modelle hatten nur Durchgriffe – die Taschen mussten also darunter gewesen sein. Weißt du, an welchen Kleidungsstücken die angebracht waren? In Hosentaschen kann man ja nicht allzu viel einstecken, wenn man sich oft bücken oder hocken muss. Oder trugen die Menschen damals Gürteltaschen oder dergleichen unter den Kitteln?
        Falls du deine Kittelrecherchen noch weiter treiben willst, habe ich eine Buchempfehlung: “En bras de chemise” / “Keep your shirt on” von Mirelle Tembouret, Verlag Esmod Editions. Da wird nachgezeichnet, wie sich aus Unterhemden, Arbeitskitteln verschiedener Branchen, Militärhemden usw. das heutige Herrenhemd und die heutigen Damenblusen entwickelt haben. Mit vielen Fotos, der Text ist englisch und französisch.

        Antworten
        1. Anke

          Liebe Jutta,
          bin gerade auf Deine Frage gestossen.

          Vielen Dank für Deinen Buch-Tipp :-)) So was habe ich schon gesucht!!

          Es gab diese Form des Arbeitskittels ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem mit der beginnenden Industrialisierung auch festere strapazierfähige Baumwollstoffe auf den Markt kamen.

          Was das „darunter“ betrifft, waren diese Hemden früher in erster Linie dafür da, die Kleidung darunter zu schützen. Getragen wurden diese Hemden von Männern. Darunter war dann eine einfache Hose mit Eingrifftaschen vorne (selten auch aufgenähte Gesäßtaschen) die mit Hosenträgern oder Gürtel an Ort und Stelle gehalten wurden. Mir ist weiter nichts bekannt, als die sog. Geldkatze, die auf Reisen dazu diente grössere Mengen Geld am Körper zu tragen. Ich kann mir gut vorstellen, dass diejenigen, die ausserhalb einer Werkstatt verschiedenes Werkzeug brauchten, dieses in einem speziell dafür hergestellten Gürtel trugen, der dann aber eher über den Kittel gebunden/geschnallt wurde. Die einzige Form dieser Hemden, die mir bekannt sind, die zusätzlich zu den üblichen Seiteneingriffen auch noch weitere Öffnungen bzw. zusätzlich auch noch Taschen haben, sind die traditionellen Kittel der Schäfer, die sind für die Gartenarbeit aber eher ungeeignet.

          Antworten
          1. Jutta

            Liebe Anke,
            danke für die Erklärungen.
            Wenn du dich für historische Alltags- und Arbeitskleidung interessierst, habe ich noch einen Buchtipp: Barbara Burman and Ariane Fennetaux, The Pocket. A Hidden History of Women’s Lives, 1660 – 1900, New Haven, YUP, 2020
            ISBN: 9780300253740
            Es geht dabei um aus Stoff (seltener auch aus Leder) genähte Beutel, die die Frauen unter der Schürze oder unter den weiten Röcken trugen, um alles mögliche griffbereit zu haben, was frau so braucht. Diese Umbindetaschen waren in Großbritannien und später auch in den britischen Kolonien bei Frauen aller Schichten üblich und sie verschwanden erst Ende des 19. Jahrhunderts, als enge Röcke und Handtaschen in Mode kamen.
            Aus Mitteleuropa sind mir solche Umbindetaschen nicht bekannt, auf alten Bildern sieht man hier eher Schürzen mit Taschen und Beutel oder Körbe, um mehr mitzunehmen.
            Wenn du nach dem Buchtitel googelst, findest du auch ein YouTube Video von Bernadette Banner, in dem es um (fehlende) Taschen in Damenbekleidung geht und in dem sie diese Umbindetaschen und das Buch erwähnt und unter dem Video eine angeregte Diskussion mit vielen weiteren Hinweisen.

  12. Karin / Grüner Nähen - Bunter Leben

    Liebe Ines, erstmal: Dein Top ist total klasse, sehr schick und steht Dir wunderbar. Die Stickerei macht es noch feiner, total toll. Das ist ja schon fast verrückt, dass sich deine Bluse von einer “Arbeitskluft” ableitet. Wie schön, dass Du dieses Kleidungsstück hier vorstellst; ich kannte solche blauen Hemden nicht. Schräg finde ich allerdings, dass das heute im Fasching getragen wird. Das fühlt sich für mich aus der Ferne zumindest falsch bzw. den eigentlichen Trägerinnen und Trägern dieses Kleidungsstücks gegenüber unwürdig an. Liebe Grüße! Karin

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Karin,
      mein Top habe ich die letzten beiden Tage sehr gern getragen. Das wird im Sommer sicher noch oft aus dem Schrank dürfen.
      Mich befremdet es auch sehr, dass alles “Alte” zum Fasching angezogen wird – das hat, wie Du schreibst, keine Würde.
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  13. Barbara

    Ich kenne diese blauen Kittel auch aus Hessen . Ich habe in Giessen studiert, und da gab es einen Trachtenladen, der diese blauen Kittel führte. Sie waren allerdings sehr kunstvoll mit Kreuzstich verziert. Meine Mutter hatte diese Kittel bei einem Besuch bei mir in Giessen gesehen und sich gleich einen gekauft, weil sie ihn so schön fand! Die blauen Kittel sind wohl in vielen Gegenden Hessens immer noch ein Teil der hessischen Tracht bei den Männern. Interessant, daß das Indigo-Blau in so vielen Gegenden Deutschlands verbreitet war!
    Deine Interepretation ist aber auch wunderschön und wird sicher im Sommer von Dir viel getragen werden!
    LG Barbara

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Barbara,
      der Hessenkittel war vermutlich aus demselben Stoff, aber reichhaltiger und aufwändiger bestickt, zumindest wenn ich die Bilder anschaue, die ich online gesucht und gefunden habe. Hier im pietistischen Süden war alles etwas nüchterner.
      Das Top trage ich sehr gerne – jetzt darf dann der Sommer kommen.
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  14. Judika

    Ich bin in einem unterfränkischen Dorf geboren und aufgewachsen, aus meiner Kindheit kenne ich solche Kittel nicht. Toll wie Du wie Du solch ein Traditionskleidungsstück als Vorlage für ein modernes Top genommen hast.
    viele Grüße Margot

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Das Blauhemd wurde in dieser Form wohl nur in der Landwirtschaft auf der Schwäbischen Alb getragen (und in anderer, mehr bestickten Form in Hessen). Ich wollte, dass mein Top daran erinnert, aber nicht diese unförmige Form und (auffällige) Farbe hat.
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  15. Gisela

    Eine sehr schöne Interpretation alter Trachtenmotive! Mir ist das Blauhemd als Rieser Bauernkittel bekannt, den ich immer wieder bei Festen im benachbarten Nördlingen gesehen habe. Interessant, dass diese Tracht dann ein paar Kilometer weiter in Donauwörth gar nicht mehr auftaucht – ist halt nicht mehr Schwäbische Alb.

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Als Rieser Bauernkittel habe ich es “online” bei meinen Recherchen auch entdeckt, kannte diesen Begriff aber vorher nicht. Die Verbreitung muss wohl wirklich ziemlich analog der Schwäbischen Alb gewesen sein.
      LG Ines

      Antworten
  16. Griselda

    Auch hier etwas nördlicher auf der Ostalb habe ich das noch nicht in den Heimatmuseen gesehen, das schient wohl eher in Richtung Alpen oder zumindest Alb gängig zu sein.
    Spannend, deine Geschichte, und ich finde diese Kittel richtig schön. Die würde ich sogar heute noch im Alltag tragen, zusammen mit einer schmalen Hose ist das doch eine richtig gute bodenständige Kombi.
    (Und warum meinst du dass da evangelisch und katholisch unterschiedliche Farben hatten?
    Wobei, wundern würde es mich nicht.)

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Meine Vorfahren müssen teilweise ja auch von Richtung Heidenheim gekommen sein. Mein Großvater wurde aber schon hier in der Ulmer Ecke geboren. Wo genau da die Kittelgrenze verläuft?
      Das mit der roten Stickerei auf dem Blauhemd habe ich gelesen und teilweise jetzt auch auf Bildern gesehen. Hier in der Gegend (Ulm als ehemalige Freie Reichstadt ja evangelisch) waren die Elemente jeglicherTracht sehr evangelisch und damit sehr dunkel und ohne Farbe und daher beim Blauhemd nur eine Stickerei in weiß. Die Trachten aus den katholischen Dörfern in weiteren Umgebung sind bunter und reichhaltiger bestickt. Die Evangelischen haben sich wahrlich über Jahrhunderte in Demut und Uneitelkeit geübt – da durfte nichts den Blick ablenken.
      LG Ines

      Antworten
  17. Nähkäschtle

    Das Top sieht super aus, ich mag sowas dezentes sehr gern und diese Blaukittel … sowas hatte ich auch mal. Allerdings wurden die in der Stadt kaum getragen. In Memmingen finden sie sich aber auch am Fischertagsgwand oder bei anderen Festumzügen immer mal wieder. Im Allgäu selber kenne ich das nicht so, eher im nördlichen Schwaben. Aber ach … wenn du so schreibst, da fühle ich mich immer gleich ein bisschen daheim. Dieses Gefühl habe ich hier in Franken leider so gar nicht und ich glaube das stellt sich auch nicht mehr ein. Daheim bin ich entweder da wo ich grüne Hügel vor großen Bergen habe und diese Mischung aus schwäbisch und allgäuerisch im Ohr und die Brudligkeit der Leut. Oder wenn ich frischen Meerwind in der Nase und den Haaren habe, da fühle ich mich immer sofort daheim, schon komisch irgendwie. Anders, aber beides wie daheim. Liebe Grüße Ingrid, die deine Geschichten super spannend findet und so viele schöne Bilder!

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Ingrid,
      wahrscheinlich war Memmingen so am Rand des “Blaukittel”-Gebietes – aber dort gibt es vermutlich auch eine Art regionaler Kleidung. Heimat fand ich nicht immer einfach zu definieren. Meine Heimat hier zu sehen war ein innerer Beschluß vor einigen Jahren. Ich habe mir vor 20 Jahren in Hamburg schwer getan, da war alles so anders. Aber vielleicht wäre ich da auch heimisch geworden.
      Und Meer – das ist zwar fremd, aber ich bin auch sehr gerne dort!
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  18. Tyche

    Liebe Ines,
    da hast du ein interessantes Stück ausgewählt und die Umsetzung in ein modernes Top ist gut gelungen.
    Ich kenne die Kittel als Risaer Kittel mit Stickerei aus eine Handarbeitsbuch.
    Bei uns zuhause hießen sie Russenkittel oder Bauernkittel, getragen hat sie keiner – ausser mir, ich hatte als junges Mädchen einen als Maletkittel, wenn ich an der Staffeleo in Öl malte, das ging nie ohne Flecken ab, Woher mein Kittel kam, weiß ich nicht mehr, war vielleicht ein Geschenk aus der DDR.
    Deinè Recherchen sind immer interessant, ich lese sie mit Vergnügen, herzlichen Dank dafür.
    LG Tyche

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Tyche,
      ich freu mich so über die unterschiedlichen Kittel, die hier die Kommentatorinnen zusammentragen! Eigentlich schade, dass es heutzutage kaum noch regional unterschiedliche Kleidung gibt.
      Sei lieb gegrüßt
      Ine

      Antworten
  19. KAZE

    Ein ganz toller Beitrag, liebe Ines! Vielen Dank für diesen Ausflug in die Kulturgeschichte. Dafür liebe ich die Stoffspielereien. Du hättest es gar nicht modifizieren brauchen, die Vorstellung allein mit ihrer Geschichte ist schon ganz wunderbar. Wie praktisch man gedacht hat mit dem Drehen und den Tascheneingriffen.Toll! Über die ökonomische Stoffverwertung bei Trachten und bäuerlicher Kleidung habe ich mal ein Buch gelesen. Kein Fitzelchen wurde verschendet von den mit viel Mühen gewebten Stoffen.
    Nur ja aufbewahren, was sich so in der Familie erhalten hat.
    Das Zick-zack-muster läßt sich sicher nur als Stickstich ausführen, aber das dauert einfach lange.

    viele begeisterte Grüße von Karen

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Danke Karen, mein Schrank hat noch so manchen ungehobenen Schatz bereit. Mal sehen, wann wider ein Stück ans Licht der Stoffspielereien darf.
      In einem Probestück habe ich die Wellenlinie hinbekommen, auf jeden Fall ging das Aufhäkeln sehr viel zügiger als sticken.
      Liebe Grüße
      Ines

      Antworten
  20. Margarete

    Liebe Ines,
    ich habe jetzt schon mehrfach gelesen, dass Du eine Gleitsichtbrille bräuchtest. Du meinst damit wohl vor allem den Leseteil. Ich muss sagen, ich habe schon lange eine, aber der Leseteil reicht auch nicht bei allem immer aus. Ich habe allerdings schon vor vielen Jahren von zwei sehr viel älteren Frauen, die immer recht fummelige Handarbeiten machten, den Tipp bekommen, mir eine Lesebrille (egal ob ganze oder halbe Gläser) etwa eine viertel Dioptrie stärker als meine normale Lesestärke machen zu lassen. Ganz einfach reicht ohne die sonst üblichen Extras bei Gläsern. Ich habe den Rat befolgt und bin heute noch begeistert von dieser Brille. Außer für richtig fummelige Arbeiten kann ich sie für nichts gebrauchen, aber dabei ist sie nach wie vor Spitze. Unglaublich wieviel besser man damit das sieht, was man direkt vor der Nase hat.
    Ich hab mir gedacht, ich gebe diesen Tipp mal an Dich weiter. Vielleicht kannst Du so wie ich damals was damit anfangen.

    Viele Grüße von Margarete

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Liebe Margarete,
      danke für den Tipp. Als ich beim Quilt für meinen Sohn das Binding annähte, habe ich auch eine Lesebrille vor meine Brille auf die Nase gesetzt – da es schwarzer Stoff war, war das nochmals verschärfter. Mittlerweile stelle ich fest, dass ich an manchen Tagen besser und an manchen schlechter sehe. Mal sehen, wie sich das die nächsten Jahre entwickelt (solange nur mein netzhautgeschädigtes Auge mitmacht!)
      Liebe Grüße
      Ines.

      Antworten
  21. Bellana

    Ich habe als Kind auf der bayerischen Seite in Senden gelebt und diese ‘Baurakittel’ wurden dort damals auch getragen. Mir hat damals schon die hübsche Stickerei gefallen. Du hast das an Deinem Shirt toll interpretiert.
    Grüßle Bellana

    Antworten
    1. Nähzimmerplaudereien Beitragsautor

      Schön, dass Du mit diesen Kitteln auch vertraut bist. Aus den 70er Jahren weiß ich noch, dass man die ab und zu noch als Alltagskleidung getragen hat.
      Liebe Grüße
      Ines

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  22. Edeltraud Stolz

    Hallo Ihr lieben “Kittel”-Fans, Meine Geschichte dazu –
    Ich, Jahrgang 1950, geboren und wohnhaft auf der Ulmer Alb, kenne das “Blauhemd” aus meiner Kindheit als “Arbeitshäs” der Bauern. Mein Großvater trug es bis zu seinem Tod 1976. Leider ist es heute nur noch auf Umzügen zu sehen. Auch ich finde es schade und mag es überhaupt nicht zweckentfremdet als Faschingskostüm! Vor einigen Jahren suchte ich für eine Festumzug ein gebrauchtes (oder neues) Blauhemd – keines aufzutreiben. Einige Jahre später zum Erntedankumzug konnte ich für meinen erwachsenen Sohn ein Blauhemd kaufen – für meine Enkelsöhne war mir das zu teuer, bekam aber glücklicherweise welche ausgeliehen. Darin befand sich ein Firmenlogo. Leider stellte diese Firma keine Blauhemden mehr her, aber die Schnitte hierfür waren noch vorhanden die ich zur Verfügung gestellt bekam. Also ran an die Nähmaschine und selbst genäht, nur die Stickerei war nicht nachzumachen. Inzwischen habe ich für meine Jungs schon die 2. genäht, als Verzierung habe ich Zackenlitze oder gestickte Borten genommen. Heute war Erntedankgottesdienst und meine Jungs natürlich im Blauhemd dabei. Eine Bekannte bat mich nun auch für ihre Kinder zu nähen. Das mach ich doch gerne! Wenn sich nun noch jemand finden würde, der die Originalstickerei (maschinell) anfertigen könnte wäre mein Glück perfekt.
    Liebe Grüße an alle Trachten und Blauhemdfreunde.
    Edeltraud

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